- 2. September 2024
- Veröffentlicht durch: Die Redaktion
- Kategorie: BEST PRACTICES
INTERVIEW MIT STEPHAN ZIPPERLEN, COVESTRO
„KI befreit die Kreativität im Kopf auch bei den Leuten, die kein künstlerisches Talent besitzen“
Wie einigt man sich mit der Rechtsabteilung auf einen risikoarmen, offiziell im Unternehmen erlaubten Einsatz von Generativer KI bei der Bild- und Filmproduktion? Und wo ist der Einsatz von KI-Avataren sinnvoll? Das beantwortet Stephan Zipperlen, Communications Excellence Catalyst beim Polymerspezialisten Covestro, im Interview mit Richard Tigges, Co-Lead unseres Clusters Technology.
Stephan Zipperlen ist aktives Mitglied im Cluster Technology der Arbeitsgemeinschaft CommTech. Wer Lust zum fachlichen Austausch mit ihm und seinen Cluster-Kollegen hat, kommt gerne einfach mal zum nächsten Onlinetreffen. E-Mail an richard.tigges@audi.de oder cschmid@christofschmid.com genügt und wir schicken dir eine Teams-Einladung!
Richard Tigges: Stephan, dein Titel des Communications Excellence Catalyst klingt schon mal sehr cool. Was verbirgt sich dahinter?
Stephan Zipperlen: Ich verantworte die Kommunikation bei Themen der audiovisuellen Kommunikation und bei Events – insbesondere für unseren Vorstand und das Extended Leadership Team. Da geht um die strategische Planung, Formatentwicklung und Umsetzung, den Look, die Tonalität. Ich begleite diese Auftritte und überblicke unsere Themen auf diese Weise sehr interdisziplinär. Zusammen mit einer sehr hohen persönlichen Affinität für Technik und KI bin ich in eine Enablement-Rolle geschlüpft, habe in meinem Team eine AI-Masterclass und Pilotprojekte zur Transkription und Übersetzung von Videos, sowie zum Einsatz von generativen Bildern in der Unternehmenskommunikation umgesetzt. Im Rahmen einer internen Kampagne bereiten wir aktuell Wissen für alle Kolleginnen und Kollegen auf, statt auf externe Trainer zu setzen – hier bin ich Product Owner für den Bereich General AI Offerings. Wir zeigen den Mitarbeitern von Covestro, dass das Thema KI bei uns ausdrücklich gewollt ist. Der Vorstand steht dahinter, so dass wir den KI-Weg gehen oder zumindest denken können, selbst wenn es in der Hierarchie auch mal ein paar Zweifler gibt. KI ist heute schon ein wichtiger Baustein.
Richard Tigges: Andere Mitglieder der AG CommTech berichten gerade in unserem Cluster Technology, dass es vielerorts noch schrecklich kompliziert ist. Du hast dich dennoch an das juristisch heikle Thema Bildgenerierung gewagt?
Stephan Zipperlen: Seit die Ergebnisse von Mid-Journey vor eineinhalb Jahren begonnen haben, rudimentär brauchbar zu sein, haben wir uns hingesetzt und den weitgehend rechtsprechungsfreien Raum analysiert. Man kann sich heute Regeln durchlesen, aber vor Gericht wurde das Recht noch nicht oft angewendet. Also gibt es ein paar unausgesprochene Unklarheiten. Davon wollten wir uns aber nicht abschrecken lassen und wollten nicht warten, bis das abschließend geklärt ist, denn das kann noch Jahre dauern. Bei IT Security und der Rechtsabteilung haben wir sehr kooperative Gesprächspartner gefunden, eine klassische Risiko-Betrachtung vorgenommen und uns zunächst auf die monetären Risiken im Urheberrecht konzentriert. Wie vermeiden wir die vorsätzliche Urheberrechtsverletzung? Ein Prompt, im Stil eines bekannten und zeitgenössischen Künstlers ein Bild zu generieren. Oder der Wunsch, einen bestimmten Charakter aus einem Film zu imitieren. Das ist relativ offensichtlich, dass das Urheberrechtsverletzungen wären. Sobald Architektur oder Kunststile ins Spiel kommen, wird es sehr kompliziert. Solche Dinge haben wir von Anfang an in unseren Guidelines ausgeschlossen.
Richard Tigges: Auch Architektur?
Stephan Zipperlen: Wenn die Aufnahme aus einer nicht-öffentlichen Perspektive, also zum Beispiel vom Balkon im zweiten Stock des gegenüberliegenden Hauses gemacht ist, dann hat der Architekt des gezeigten Hauses Rechte an diesem Bild. Das kann doch niemand ahnen! Also lassen wir konkrete Beziehungen oder Referenzen auf Architektur völlig weg. Kein Gebäude, kein Straßenzug. Auch die Nutzung von Bilder-Uploads an die KI haben wir ausgeschlossen, weil wir sonst sicherstellen müssten, dass wir an den Motiven Rechte für die KI-Bearbeitung besitzen. In unserer Bilddatenbank markieren wir das demnächst, so dass wir bald auch Uploads erlauben können. Aber das ist das Schöne an solchen Guidelines, dass sie sich entwickeln können und dürfen.
Richard Tigges: Wie sieht es mit dem fahrlässigen Missbrauch aus?
Stephan Zipperlen: Da haben wir eine kurze Reverse-Bildersuche in unseren KI-Prozess eingebaut, damit wir uns nicht nur auf den Bildgenerator verlassen, sondern sicherheitshalber prüfen, ob das Motiv wirklich einzigartig ist. Eine kleine Schranke gegen Fahrlässigkeit.
Richard Tigges: Lohnt sich denn dieser Aufwand für KI-Bilder?
Stephan Zipperlen: Sie werden sicher nicht die Fotografie in der Unternehmenskommunikation ersetzen, aber ich sehe wirklich, dass es den Einkauf von Stockmaterial ersetzt. Ich glaube, das Thema KI und Bild wird sich in den nächsten Monaten und Jahren noch massiv wandeln.
Richard Tigges: Ihr arbeitet auch mit KI-basierten Videoavataren?
Stephan Zipperlen: Spannend ist, dass Videos in der Sprache verändert werden können und selbst die Lippenbewegung für die Synchronisierung angepasst wird. Die ukrainische Botschaft hat einen Twitter-Kanal mit einem KI-Avatar als Sprecherin im Einsatz. Wir bei Covestro wollen nicht den Menschen ersetzen, auch nicht Fotografie oder Videografie. Auch wenn es für den Vorstandsvorsitzenden verlockend wäre, sich zwei Stunden für einen Videodreh zu sparen und stattdessen seinen Avatar sprechen zu lassen, nein. Wo wir einen wirklichen Mehrwert sehen, das sind beispielsweise Sicherheitsthemen. Als in der chemischen Industrie müssen wir erheblichen Aufwand für Trainings zur Prozesssicherheit betreiben. Es macht schon einen Unterschied, ob ich mir einen OnePager durchlese oder ein schönes Web-based Training ansehe, das nicht nur Text, sondern einen Avatar in Schutzkleidung zeigt. In der Muttersprache des Betrachtenden gesprochen, gibt das schon nochmal einen anderen Zugang zu den Inhalten.
Richard Tigges: Wir sind ja sehr realitätsnah inzwischen und trotzdem steckt in AI halt auch viel Künstliches. Was macht es mit dir, künstliches Bewegtbild oder Bild zu sehen? Das Visuelle geht ja mitten ins Herz. Vermisst du da manchmal die Authentizität?
Stephan Zipperlen: Ich bin hoch fasziniert von dem, was möglich ist. Ich sehe immer noch den Wert des Authentischen, vor allem wenn es um den Menschen und um das Persönliche geht. Einer der spannendsten technologischen Wandel ist die Entdeckung der Fotografie, die es geschafft hat, Momente einzufangen und damit Geschichten zu erzählen. Ohne dass ich die Fachkenntnis haben muss, die Bleistift-, die Tusche- oder die Ölzeichnung in der Tiefe zu beherrschen. Die generative KI sehe ich gerade im audiovisuellen Bereich als ähnlich wichtige Innovation an. Das schafft etwas Neues, gibt uns die Möglichkeit des kreativen Ausdrucks. Vor allem am Anfang wirkt da manches noch sehr künstlich und fremd. Aber wenn ich mir die ersten Litographien anschaue, wiederholt sich da die Geschichte. Doch die Gelegenheit ist genial, illustrative Gedanken auszudrücken, ohne die Gabe zu zeichnen, digital zu bearbeiten oder zu illustrieren zu haben. Damit entdecken einige von uns eine ästhetische, artistische Seite von sich selbst. Und natürlich müssen wir über Authentizität, Echtheit, über Wasserzeichen oder eine andere klare Kennzeichnung sprechen und vor allem ein gesamtgesellschaftliches Bewusstsein herstellen, was generative KI kann und darf. Auch wichtig: Wie wertschätzen wir künftig Künstler, die Dinge noch selber aufs Papier bringen? Gleichzeitig befreit KI die Kreativität im Kopf auch bei den Leuten, die kein künstlerisches Talent besitzen – mit generativer KI können sie ihre Vision aufs Blatt bringen. Und das ist es, was mich bei diesem Medium am stärksten beeindruckt.