Die Neuerfindung der Kommunikation

Viele erinnern sich an historische Ereignisse wie den 11. September 2001. Doch der 30. November 2022 ist weniger präsent: das Datum, an dem ChatGPT-3 der Öffentlichkeit zugänglich wurde. Nur fünf Tage später hatte die Plattform bereits über eine Million Nutzer. Dies markierte den Start der Kommerzialisierung der Künstlichen Intelligenz (KI).

Seitdem verändert KI unsere Arbeitswelt grundlegend – durch Automatisierung, bessere Entscheidungsfindung und gesteigerte Effizienz. Laut der Umfrage der AG CommTech schätzen 71 Prozent der Befragten den Nutzen von generativer KI als „groß“ oder „sehr groß“ ein – und mehr als die Hälfte von uns nutzt generative KI gelegentlich, 38 Prozent sogar täglich. Bei Swiss Re verwenden mehr als 86 Prozent unserer Mitarbeitenden KI im Arbeitsalltag.

Das rasante Entwicklungstempo ist spannend, aber auch herausfordernd. Besonders bei der Entwicklung eigener KI-Anwendungen wird man vom Fortschritt oft überholt: Was gestern kaum funktionierte, kann morgen schon gelöst sein. KI hilft, unsere Wertschöpfungskette effizienter zu gestalten – und, darüber hinaus, diese neu zu denken. Ein Beispiel ist die Entwicklung von SEO hin zu GAIO und die Frage, welche Rolle unsere Webseite spielt (als Teil unserer Wertschöpfungskette), wenn Nutzer unsere Inhalte bald direkt in den jeweiligen KI-Tools konsumieren. Oder aber die Frage der Ausbildung in der Kommunikation: Wie erlernen wir zukünftig die Grundlagen unseres Handwerks, wenn Tools bereits auf dem Niveau von Best Practices agieren?

Governance, Upskilling, KI-Entwicklung

Mit diesen (und weiteren) Fragen beschäftigen wir uns seit anderthalb Jahren intensiv. Im März 2023 gründeten wir unsere „AI Working Group“, ein interdisziplinäres Team, das die strategische Steuerung und Einführung von KI in der Unternehmenskommunikation koordiniert. Im Zentrum standen zu Beginn vor allem ethische Fragen, wie unsere eigene professionelle Rolle in einer KI-augmentierten Welt, weshalb wir uns dem „human-in-the-loop“ Prinzip verpflichtet haben. Und eine eigens entwickelte „AI-Charter“ legt Ziele und Prinzipien für den verantwortungsvollen Umgang mit KI fest.

Parallel dazu widmen wir uns dem Ausbau wichtiger Kompetenzen. Wir veranstalten „Drop-in-Sessions“, in denen wir kontinuierlich voneinander lernen. Denn: 80 Prozent aller digitalen Transformationen scheitern aufgrund mangelnden Change-Managements und Upskillings. Die erfolgreiche Implementierung von KI hängt nicht zuletzt davon ab, wie wir die Technologie in unseren Alltag integrieren. Lernthemen umfassen z. B. Prompt Engineering und die Nutzung von KI zur Kreativitätssteigerung.

Auf unserer KI-Reise arbeiten wir auch an der Entwicklung generativer KI, die an unsere Bedürfnisse angepasst ist. Wir unterscheiden zwischen der Entwicklung innerhalb bestehender Plattformen und der Entwicklung maßgeschneiderter Lösungen. In unserer Content Management Suite oder in unseren Analyse-Plattformen integrieren wir KI-Funktionalitäten, womit wir Prozessschritte automatisieren oder beschleunigen.

Darüber hinaus haben wir eigene KI-Lösungen entwickelt, wie den „Social Media Helper“ – eine auf ChatGPT 4.0 basierende Anwendung, die Social-Media-Posts im Einklang mit unserem Markenstil generiert. Es ist kein Zufall, dass wir uns als Erstes auf die Textgenerierung fokussiert haben: In der AG CommTech Umfrage gaben 90 Prozent der KI-Nutzer an, dass sie KI für die Produktion von Texten einsetzen. Die Textgenerierung durch KI hilft uns nicht nur, effizienter zu sein, sondern auch, die Qualität unserer Inhalte zu verbessern. Wir versuchen hier Plattform-agnostisch zu entwickeln, indem wir mit verschiedenen LLMs arbeiten oder Lösungen bauen, die auf mehreren LLMs aufsetzen können.

Was die Zukunft bringt

Wohin uns unsere KI-Reise führt, bleibt noch lange offen. Wie alle sind wir von der technologischen Entwicklung abhängig. Doch dies sollte uns nicht davon abhalten, unsere Zukunft aktiv zu gestalten. KI bietet die Chance, Kommunikation und Marketing neu zu definieren und unseren Mehrwert zu steigern: Wenn wir mit KI Routineaufgaben beschleunigen oder automatisieren, bleibt mehr Zeit für wertschöpfende Arbeit, zum Beispiel für die Kreation, das Stakeholder Engagement oder für Strategie und Konzeption. Wie jede Transformation birgt KI auch Risiken. Wir gehen bewusst damit um, indem wir intern offen über Vor- und Nachteile diskutieren. Mit einer Kultur der Offenheit und des Lernens stellen wir sicher, dass wir die Möglichkeiten der KI voll ausschöpfen. Denn das größte Risiko besteht unseres Erachtens darin, KI nicht zu nutzen und dadurch den Anschluss (und Wettbewerbsvorteile) zu verpassen. Letztlich geht es darum, KI als Werkzeug zu begreifen, das uns unterstützt, und nicht als Bedrohung. Nur so können wir die Chancen voll ausschöpfen, die diese Technologie uns bietet – und schaffen es dabei vielleicht sogar, die Kommunikation (ein Stück weit) neu zu erfinden.

Dr. Jan Dietrich Müller, Head Group Communications, Managing Director bei Swiss Re



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