Wenn die KI nur noch Selbstgespräche führt

Es ist wahr, Künstliche Intelligenz, namentlich die sogenannten LLMs (Large Language Models) wird die Kommunikationsarbeit demokratisieren. Wo kürzlich noch viel Geld oder Personal erforderlich war, um etwa aus einem Text unterschiedliche Derivate für zahlreiche Kanäle zu erzeugen, spuckt KI heute die Inhalte in den richtigen Formaten und Tonalitäten auf Knopfdruck in Sekunden für lau aus. Damit können sich auch kleinere Kommunikationsfunktionen leisten, was früher nur den Kommunikations-Dickschiffen aus dem DAX oder potenter Verbände möglich war.

In letzter Konsequenz ermöglicht die Technologie eine Hyperpersonalisierung der Kommunikation. Wir sprechen nicht mehr über Zielgruppen, sondern massenhafte individuelle Dialoge, die basierend auf einer Datenspur kontextualisiert und automatisiert in Echtzeit ausgespielt werden. Wer das für Fantasie hält, muss sich nur mal umschauen, welche Anwendungsmöglichkeiten in Marketing aktuell erschlossen werden. Ein Product-Information-System (PIM) wird zum Product-Experience-Management (PXM), das die gesamte Wertschöpfungskette vom Sammeln der Produktdaten, die Anreicherung mit kundenrelevanten Kontexten, die Syndizierung auf unzählige Plattformen und die Verarbeitung des Feedbacks in Echtzeit wie Conversation Rates, aber auch Nutzerkommentare KI-gestützt automatisiert und das Nutzerlebnis verbessert. Die frustrierende Erfahrung, dass man nach einem Kauf weiterhin penetrant Werbung für ein Produkt eingeblendet bekommt, dürfte damit bald der Vergangenheit angehören.

Was sich aber zunächst nach einer schönen neuen Welt anhört, birgt auch Gefahr. Für die Kommunikation ungleich mehr als im Marketing. Was wird passieren, wenn eines nahen Tages alle technisch in der Lage sind, in Echtzeit automatisiert zu kommunizieren und sich damit die schiere Menge an potenziellen Touchpoints vervielfacht? Verlieren wir als Adressaten dieser bot-gesteuerten Kommunikation die Lust daran, weil wir genau wissen, hier ist kein Mensch im Spiel – auch, wenn die KI mit dem Wissen um Interessen und Vorlieben eine „Nähe“ vorgaukelt? Konsequent zu Ende gedacht, kommunizieren am Ende Bots miteinander, wenn die KI etwa in Gestalt eine Co-Pilots (wie gerade erst von Microsoft angekündigt) das Outlook-Postfach aufräumt. Ähnliche Lösungen dürften sich für alle Kanäle etablieren.

Ein Blick zurück hilft. Als die Interne Kommunikation um die Jahrtausendwende herum zunehmend digital wurde und Intranets Einzug hielten wurde ein Phänomen messbar. Je digitaler die Kommunikation wurde, desto größer wurde das Bedürfnis nach persönlicher Kommunikation, nach persönlichen Touchpoints, insbesondere zum Management. Ähnliches könnte auch wieder zu beobachten sein. Als Ventil, um dem „digitalen Overkill“ zu entkommen, könnte sich der persönliche Kontakt erweisen, der als Sahnehäubchen wirkliche Nähe und damit Vertrauen schafft. Die Finanzer sollten also nicht darauf spekulieren, die Kommunikationsabteilungen wegen der KI runterzufahren. Die Menschen werden gebraucht, weil KI sie eben nicht ersetzen kann.

Aber auch hier gilt Vorsicht. Angesichts des Umstandes, dass Kommunikation gerade erst und mit Mühe Fortschritte bei ihrer Digitalisierung macht, wäre es falsch, als Konsequenz aus den angestellten Überlegungen die Digitalisierung gleich ganz abzublasen. Gewinner werden die sein, die virtuos und mit einer gesunden Balance an Kommunikationsmaßnahmen die Klaviatur beherrschen – denn das Klavier ist elektrisch. 😉



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