Agilität in der Unternehmenskommunikation: Mehr als nur eine Mode

Diese Illustration hat der Autor mit Hilfe des KI-Tools Midjourney erstellt. Der Prompt lautete: /imagine Communications team going through an agile transformation, they are worried because they are confronted with a fast-changing world with a lot of chaos, at the same time they are hopeful that the transformation will allow them to adapt and stay resilient, dressed casually –chaos 100 –s 750

Autor: Oliver Loenker

Nur noch neun Prozent der Kommunikationsexpert*innen in Unternehmen bevorzugen eine Tätigkeit in getrennten Abteilungen. Laut der Trendstudie „Next Communication“, die im November 2022 von der Deutschen Telekom veröffentlicht wurde1, favorisiert die große Mehrheit einen cross-funktionalen, projektbasierten Organisationsansatz. Während in manch einem Chefbüro diese Botschaft möglicherweise noch nicht angekommen ist, wenden sich die besten Talente von traditionellen Strukturen ab.

Unternehmen, die den Mut haben, neue Modelle mit cross-funktionalen Teams und hohem Maß an Selbstorganisation zu implementieren, stehen in der Gunst der Talente weit oben. Ob diese neuen Ansätze agil, holokratisch, integriert oder anders bezeichnet werden, ist dabei weniger entscheidend. Wichtig ist, dass Hierarchien in den Hintergrund treten, Entscheidungen datenbasiert getroffen werden und Innovationen durch Experimentierfreude entstehen.

Der Weg zur Transformation: Ein anspruchsvoller Prozess

Wer sich auf diese Transformation einlässt, sollte sich auf eine anspruchsvolle Reise vorbereiten. Bei Siemens Healthineers haben wir den Umbau bereits 2019 gestartet, also noch vor der Pandemie, und wir sind bis heute nicht am Ziel angelangt. In einer Welt, die sich ständig beschleunigt und gefühlt in einem Zustand einer „multikausalen Dauerkrise“ (Kurt Kister2) befindet, gibt es einen finalen Zustand sowieso nicht.

Drei wesentliche Erkenntnisse unserer Reise im agilen Content Lab

  1. Das Team als Motor der Veränderung
    Eine agile Transformation sollte nur dort angestrebt werden, wo die Mitarbeitenden Veränderungen maßgeblich mitgestalten können. Bei Siemens Healthineers war es das Team, das ganz am Anfang mit agilen Methoden experimentiert hatte – in cross-funktionalen Projekten jenseits der klassischen Linienorganisation. So entstand schon früh eine hohe Motivation, Verantwortung für die Transformation zu übernehmen und neue Wege zu gehen. Und im Management entstand Veränderungsdruck aus der Mannschaft. Mit anderen Worten, Agilität und Selbstorganisation sollten vom Anfang an im Team erlebt und praktiziert werden.
  2. Geduld und Durchhaltevermögen: Zwei Schlüsselfaktoren
    Agilität braucht Übung. Genau wie ein Musikinstrument kann agiles Arbeiten nicht durch Lesen und Nachdenken erlernt, sondern muss konsequent in der Praxis ausprobiert werden. Dabei kann viel schief gehen, und die ersten Lösungen sind meist nicht die besten. Aber zum Glück lernen wir durch Fehler am besten. Es besteht also kein Grund zur Verzweiflung, wenn am Anfang nicht alles glatt läuft. Die Veränderung braucht Zeit, zumal Mitarbeitende meist nicht nur mit neuen agilen Arbeitsprozessen konfrontiert sind. Auch neue Teamkonstellationen und neue Berichtslinien erzeugen vorübergehend viel Unruhe.
  3. CommTech als Katalysator
    Technologie ist der wesentliche Treiber von Agilität. Die Möglichkeit, auf Basis von Daten und mit Hilfe von Algorithmen bessere Entscheidungen zu treffen, zwingt zur Veränderung und Auflösung hierarchischer Muster. Technologie hilft auch, ein hohes Maß an Transparenz zu generieren – ein wesentlicher Faktor für eine engere Zusammenarbeit zwischen vormals getrennten Bereichen. Bei Siemens Healthineers bildete sich zu Beginn der Pilotphase ein cross-funktionales Projektteam, das innerhalb weniger Monaten eine Toollösung für einen gemeinsamen, offenen, digitalen Content-Planungskalender einführte – als Ersatz für zwölf Insellösungen in den redaktionellen Linienteams.

Führungskräfte:  Die Herausforderung des Kontrollverlusts

Eine große Gefahr für jede agile Transformation sind Führungskräfte, die Schwierigkeiten haben, Kontrolle abzugeben. Mikromanagement und Besserwisserei von Vorgesetzten können jede Veränderung im Keim zu ersticken. Was nicht heißt, dass Manager nichts mehr entscheiden sollen, aber eben nicht primär in der operativen Umsetzung – hier sind die Teams in der Verantwortung. Agile Manager setzten und kommunizieren strategische Ziele, entwickeln mutig die Organisation, treffen Personalentscheidungen, und agieren mehr und mehr als Mentoren und Coaches. 

Die Bedeutung einer Reorganisation für die erfolgreiche Implementierung von Agilität

Agilität in der alten Linienorganisation zu versuchen, mag verlockend erscheinen. Tatsächlich haben wir auch bei Siemens Healthineers versucht, agile Prozesse zunächst im alten Organisationsansatz einzubetten, mit dem Gedanken, wir könnten uns so “minimalinvasiv” transformieren. Aber “Agilität light” funktioniert nicht. Durch den halbherzigen Ansatz wurden für die agilen Projekte zu wenig Ressourcen bereitgestellt – die Aufgaben in den Linienteams genossen meistens höhere Priorität. Dies löste erhebliche Belastungen und Stress für die Einzelnen aus. Nach etwa zwei Jahren haben wir uns daher im Leitungsteam für eine konsequente Reorganisation von redaktionellen Teams entschieden. Wir haben Hierarchien abgebaut und Kommunikator*innen ermöglicht, den Großteil ihrer Arbeitszeit in cross-funktionalen Thementeams zu verbringen.

Agilität: Eine Möglichkeit, kein Allheilmittel

Während wir viele redaktionelle Aufgaben in unser agiles Content Lab überführt haben, werden bestimmte Bereiche, wie die Finanz- und Vorstandskommunikation, weiterhin in separaten Teams betreut, wo schnelle Top-Down-Entscheidungen notwendig und Räume für Experimente kleiner sind. Denn auch das gehört zur Wahrheit: Agilität ist nur eine Möglichkeit, Prozesse und Teams zu organisieren. Es ist daher absolut in Ordnung und auch empfehlenswert, mit hybriden Organisationsstrukturen die jeweils besten Lösungen für unterschiedliche Bereiche zu finden.

1 https://www.telekom.com/de/medien/medieninformationen/detail/studie-next-communication-zukunft-der-kommunikation-1022566

2 Kurt Kister, Kampf der Systeme, Süddeutsche Zeitung, Ausgabe vom 27.Mai 2023



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