Interview mit Christina Rettig: Eine integrierte Marketing-Kommunikation sollte zum Standard werden

Christina Rettig leitet die Unternehmenskommunikation von SCHOTT in Mainz. Im Interview mit der AG CommTech schildert sie, wie ihr Team datengetriebene Kommunikation angeht. Einen Schlüssel dafür sieht sie in der Integration von Kommunikation und Marketing. Die Fragen stellte Klaus Treichel, Co-Leiter der AG1 in der AG CommTech.


Klaus Treichel:
 
Häufig wird gesagt, MarTech ist der CommTech meilenweit voraus. Anders ausgedrückt: Die Digitalisierung ist im Marketing schon ziemlich ausgereift – und in der Kommunikation steht sie noch ganz am Anfang. Steckt CommTech aus Deiner Sicht wirklich noch in den Kinderschuhen?

Christina Rettig: Lass uns das anhand von Zahlen festmachen: Eine Suche bei Google Scholar zum Begriff MarTech bringt gut 9000 Ergebnisse. CommTech liegt darunter und schleppt Beifang aus benachbarten Disziplinen wie Informatik mit, die den Begriff in anderem Zusammenhang verwenden. Das ist für mich ein Indiz, dass MarTech weiter fortgeschritten ist. Aus der Praxis kann ich diesen Eindruck bestätigen.

Klaus Treichel: Welche Potenziale siehst Du in der Anwendung von CommTech? 

Christina Rettig: Kommunikator:innen verfügen in der Regel über ein gutes Bauchgefühl, mit welchen Themen sie ihre Organisationen erfolgreich positionieren. Idealerweise tragen sie damit zum Geschäftserfolg bei. CommTech bietet das wunderbare Potenzial, diese Arbeit noch besser zu machen. Vor allem aber machen wir den Wert von Communications für die Organisation sichtbar.

Klaus Treichel: Welche Voraussetzungen müssen gegeben sein, damit wir die Digitalisierung nutzen können, um den Wertbeitrag der Kommunikation zumessen?

Christina Rettig: Kurz gesagt: Mindset, Manpower, Infrastruktur. Es fängt damit an, dass die Leitung der Comms-Organisation davon überzeugt sein muss, die Kommunikation an Daten auszurichten. Das können die Teams dann aber nicht zusätzlich zur Tagesarbeit leisten. Wie Antonia Eidner kürzlich auf dem #KKongress sagte, sind dedizierte Ressourcen nötig, die sich ausschließlich darum kümmern. Und drittens braucht es Zugang zu den Daten sowie entsprechende Tools, diese aus unterschiedlichsten Quellen zusammenzuziehen und zu strukturieren. Und zwar idealerweise automatisch, nach vorher festgelegten Routinen. Nur so wird unsere Arbeit auch effizienter.

Klaus Treichel: Digitalisierung ist eine klassische Querschnitts-Aufgabe. Wie nötig ist da noch eine Trennung zwischen Kommunikation und Marketing? 

Christina Rettig: Damit diese Integration gelingt, finde ich es allerdings wichtig, die Unterschiede der beiden Disziplinen anzuerkennen. Nur dann kann man die Stärken optimal kombinieren und gut zusammenarbeiten. Und das ist es schließlich, was die Führungsebene von beiden Funktionen erwartet.

Klaus Treichel: Welche Erfahrungen hast Du bei SCHOTT gemacht, was die Annäherung oder gar Integration von Kommunikation und Marketing betrifft? Welche Tricks waren bei Dir erfolgreich?


Christina Rettig: Das war damals nicht ganz freiwillig, sondern Ergebnis der Finanz- und Euro-Krise. Im Nachhinein war es ein Glücksfall, denn eine gemeinsame Berichtslinie ist auf jeden Fall förderlich. Schlüssel für die Integration waren außerdem unsere „Fokus-Themen“, zu denen wir seit 2015 rollierende Projektteams gebildet haben. Dafür haben wir uns Themen mit Strahlkraft herausgesucht, zum Beispiel biegbares Ultradünnglas. Das begegnet einem heute in faltbaren Smartphones, wie sie Samsung oder Vivo auf den Markt gebracht haben. Damals haben wir in einem integrierten Team aus beiden Disziplinen erarbeitet, wie wir das Thema nutzen können, um SCHOTT als Anbieter in der Consumer Electronics-Industrie zu positionieren und unser Unternehmen insgesamt bekannter zu machen.

Sich über solche Projekte einander anzunähern und nicht gleich alles umzustellen, war für uns ein guter Weg. Wenn man Schritt für Schritte vorgeht, können Feedbacks aus den Teams besser in die Umgestaltung einfließen.

Klaus Treichel: Welche Fehler habt Ihr bei den ersten Projekten der datengetriebenen Kommunikation gemacht? Und was war für die Korrektur entscheidend?

Christina Rettig: Bei uns überholen die gute Content-Idee und das Macher-Gen vieler Kommunikator:innen nach wie vor den sauberen Prozess. Dadurch verschenken wir schätzungsweise 20-30% Performance. Denn idealerweise sollte das Team, das die Daten im Blick hat, zunächst eine Analyse fahren und dann erst wird der Content erstellt. Dieses Planen und Abwarten liegt nicht in der Natur von Kommunikator:innen. Aber solange die Richtung insgesamt stimmt, darf das ab und an nochmal vorkommen, das ist kein Weltuntergang. Wir befinden uns alle miteinander auf einer Lernkurve.

Klaus Treichel: Viele Kommunikations-Abteilungen befassen sich gerade jetzt mit der datengetriebenen Kommunikation. Welche konkreten Praxistipps kannst Du mit Deiner SCHOTT-Erfahrung geben? Wie und womit sollte man bei der Einführung anfangen?

Christina Rettig: Lehrbuchartig wäre natürlich eine Top-Down CommTech-Strategie. Meine Erfahrung ist allerdings, dass das die Organisation schnell überfordert. Führungskräfte wissen oft nicht, wo sie anfangen sollen. Außerdem ist es schwierig, die nötige Kapazität in den Teams freizumachen.

Wenn noch gar keine Erfahrung besteht, würde ich mit einem abgegrenzten Projekt beginnen. Zum Beispiel haben wir einen Produktlaunch mit einem interdisziplinären Team betreut, das ganz bewusst zunächst Daten zusammenträgt und auf dieser Grundlage den Kreativprozess einleitet. Die Learnings daraus kann man dann in weitere Projekte mitnehmen.

Klaus Treichel: Marketing und Kommunikation leben von Kreativität und Phantasie. Wie passen Zahlen, Daten und Dashboards in diese Welt?

Christina Rettig: Kreativität und Phantasie bestimmen, wie ich eine Geschichte erzähle. Daten und Dashboards komplettieren die anderen W-Fragen: Welche Geschichte erzähle ich wem und wo. Aus meiner Sicht ergänzt sich das perfekt.

Klaus Treichel: Welche Entwicklungen siehst Du für die nächsten zwei Jahre? Wohin geht die Datenreise?

Christina Rettig: Wir Kommunikator:innen befinden uns im Moment noch in einer komfortablen Situation und segeln unter dem Radar. Marketing steht heute schon unter viel höherem Erfolgsdruck. Ich denke, dass dieser bald bei uns ankommen wird. Das Ziel für unsere Profession in den nächsten zwei Jahren sollte sein, mehr Datenkultur zu wagen und vor diese Welle zu kommen – und sie am besten aktiv zu surfen. Das verspricht größeren Erfolg und macht am Ende auch mehr Spaß. 



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