Die sechs Erfolgsfaktoren von Newsroom

Die sechs Erfolgsfaktoren von Newsroom

Autor: Thomas Mickeleit

Seit 10 Jahren sind Newsrooms ein heißes Thema und ein zuverlässiger Füller von Konferenzen und Seminaren. Eine Befragung der AG CommTech von 161 Fach- und Führungskräften im Dezember 2021 hat ergeben, dass 31[1] Prozent der PR-Verantwortlichen schon einen Newsroom haben und 10 Prozent demnächst einen bekommen, also sich in der Einführung befinden. Ein großer Teil – 33 Prozent ist noch nicht so weit. Sie hätten gerne einen Newsroom, haben aber mit der Einführung noch nicht begonnen. Ein nicht unerheblicher Teil – 25 Prozent – braucht ihn nach eigener Einschätzung nicht.

Newsrooms sind also weiterhin ein – durchaus kontroverses – Thema. Das hat auch damit zutun, dass viele glaubhafte Berichte über fulminantes Scheitern von Newsroom-Projekten kursieren und die hochgesteckten Erwartungen anscheinend häufig nicht erfüllt werden. So nehmen in der Beratungspraxis „Sanierungsmaßnahmen“ einen nicht unerheblichen Raum ein.

Das führt zur Frage: Lässt sich dem vorbeugen und ein Scheitern verhindern oder positiv formuliert: Was macht den Newsroom eigentlich erfolgreich? Wir sprechen hier von sechs Erfolgsfaktoren.

1. Strategie

Als Erstes: Man braucht eine Strategie. Viele Unternehmen stellen, während sie den Newsroom einführen, fest, dass sie gar keine Strategie haben! Eine Unternehmensstrategie als Aufsatzpunkt für die Kommunikationsstrategie ist unerlässlich. Das große Besteck besteht aus Vision, Mission, Werten, der Strategie und taktischen Zielen. Dabei leiten sich die Kommunikationsziele – anders als oft praktiziert – nicht aus kurzfristigen Unternehmenszielen ab. Wir müssen hier die richtige Flughöhe finden, aus der wir unsere Kommunikationsziele wirklich ableiten können. In vielen Organisationen gibt es jedoch diese Unternehmensstrategie gar nicht und dieseA ufgabe muss angegangen werden. Hierbei kann die Kommunikation einen katalysatorischen Beitrag leisten, um den Strategieprozess in die Wege anzustoßen und zu begleiten.

Eine auf der Unternehmensstrategie basierende Kommunikationsstrategie zu haben, reicht nicht. Sie muss auch praktisch umgesetzt werden. Es gibt viele Gründe des Scheiterns, aber über allem ragt die fehlende Allokation des Budgets heraus. Somit fehlt es an der Steuerung. um eine Strategie zum Leben zu bringen, um Kurs zu halten.

Dann ist das „Kurshalten“ interessanter Weise nicht nur eine nicht nur eine Frage des „Machens“, sondern es ist vor allem eine Sache des „Nicht-Machens“. Was lasse ich weg? Womit befasse ich mich nicht mehr? Hier hilft es, einen Grundsatz zu befolgen, nämlich die ultimative Anwendung des „Eisenhower-Prinzips“. Das Eisenhower Prinzip (auch Eisenhower Methode oder Eisenhower Matrix) ordnet die Aufgaben eines Unternehmens anhand ihrer Wichtigkeit und ihrer Dringlichkeit in vier Kategorien (A, B, C und D Aufgaben). Wir Kommunikatoren sind jeden Tag gejagt davon, irgendwelche scheinbar dringlichen Themen umzusetzen. Und wir priorisieren in dem Fall oft falsch, indem wir uns darauf einlassen, von links nach rechts gejagt zu werden. Dann fallen die strategisch wichtigen Themen hinten runter und die Kommunikation verliert sich im Aktionismus bis zur Erschöpfung. Hier hilft Rückgrat, Gleichmut und eine Portion konstruktiver Widerstand im Sinne von “Das machen wir jetzt nicht. Lass uns mal darüber reden, was das eigentlich bringt.”  

2. Transparenz

Der Newsroom wird nur funktionieren, wenn er von absoluter Transparenz geprägt ist. Alle Team-Mitglieder und auch andere Stakeholder außerhalb der Funktion müssen aktiv einbezogen werden. Sie müssen wissen: Woran wird hier eigentlich gearbeitet? Das ist die Voraussetzung dafür, dass die Synergieeffekte in einem Newsroom tatsächlich gehoben werden. Dass Content, der an einer Stelle entsteht, über alle relevanten Kanäle skaliert wird. Nichts davon wird passieren, wenn die Teammitglieder nicht wissen, was stattfindet. Wir erreichen das durch hochfrequente Meeting-Formate. Also alle vierzehn Tage einmal zusammenkommen, wird nichts nützen. Eher ist es täglich, aber vielleicht nur zehn Minuten. Man braucht, um diese Transparenz herzustellen, einen CVD oder eine CVD, die das operativ managt. Ein CVD ist der Ankerpunkt in so einer Struktur. Ohne eine Person, die sich dahinterklemmt und sagt, “Ich mache das, ich kümmere mich darum, ich fordere die Transparenz ein”, jeden Tag, jeden Moment, geht es nicht.

Je größer eine Organisation ist, umso mehr digitale, unterstützende Tools benötigt man. Planungs-, Produktions-, Distributions-Tools im Kanban-Format, Kalenderformat usw., die hier zum Einsatz kommen. Da gibt es preiswerte, kostenlose Einstiegsmöglichkeiten, mit denen man starten kann. Aber je größer eine Organisation ist, und je höher die Ansprüche sind, und je mehr Stakeholdere inzubinden sind, desto weniger sind diese günstigen Lösungen ausreichend.

3. Sensorik

Unter Sensorik versteht man die Zusammenfassung aller internen und externen Rückmeldungen, die die Organisation aus der Umwelt erfährt und zwar in der Form von Daten. Das beginnt mit den Nutzungsdaten der internen Collaboration-Tools, dem CRM-System, externen Daten wie Social Listening, Community Management und nicht zuletzt Media-Analytics. Anders als die verbreitete Praxis, wo der Clipping-Report nach vier Wochen auf dem Tisch landet, ist die Sensorik in Echtzeit erforderlich: Wo stehen wir denn eigentlich? Was sind unsere Datenpunkte, die wir nutzen können, um strategisch Kommunikation zu betreiben, um Anschlussfähigkeit der Kommunikation herzustellen? Dazu braucht man ganz grundsätzlich eine Outside-in-View, die über die verschiedensten Datenpunkte befeuert wird, und die hilft, die Kommunikation nicht blind rauszuhauen, sondern genau zu wissen: Auf welche Interessen stoßen wir? Was ist der richtige zeitliche Zusammenhang? Mit welchen Begrifflichkeiten können wir agieren? All diese Fragen beantworten sich daraus. Und wenn ich keine Sensorik habe, wenn ich diese Echtzeit-Analytics nicht betreibe, dann agiert die Pressestelle im Blindflug.  

Einige Organisationen verfügen zwischenzeitlich über sogenannte „Command-Centers“, wo all diese Informationen zusammenfließen. Dort werden Daten aufbereitet, aggregiert, visualisiert, interpretiert und durch Handlungsempfehlungen „actionable“. Sie dienen dem Management, jenseits der Verwendung im Newsroom, als Entscheidungshilfen. Erstaunlicher Weise existieren Listening-Tools und andere relevante Datenquellen – nicht selten redundant – in verschiedenen Funktionen, z.B. im Marketing, HR oder in Customer Success. Es lohnt sich also immer zuschauen, wo finden sich Verbündete, mit denen man so ein Center etablieren kann – zum gemeinsamen Vorteil.  

4. Stakelholder Map

Im Grunde ist es eine Binse, aber keineswegs überall gelebt. Ich muss wissen: Wer sind denn eigentlich die internen Stakeholder in meiner Organisation? Wer sind die Subject Matter Experts, wer sind die Channel Owner? Warum ist das wichtig? Kommunikation schmort im eigenen Saft und entfaltet keine Wirkung in der Organisation, wenn sie nicht mit allen Stakeholdern nahtlos interagiert. Zweiflern sei geraten: Wenn man anfängt, das einmal zu erforschen, stellt man fest: Es gibt dreimal so viele Stakeholder, wie man ursprünglich ahnte. Das gilt vorallem für die Channels, wobei sich die Suche nicht nur auf digitale Plattformen beschränken darf. Es geht über Newsletter, Event-Formate u.v.m.. Die Channel-Owners sind zu identifizieren, um mit ihnen im Newsroom-Kontext zu agieren und sie in diesen Prozess einzubeziehen.

Extern muss ich wissen: Mit wem will ich eigentlich kommunizieren? Wer ist wichtig? Und das funktioniert auf Basis von Personas. Die traditionelle Methodik von Kommunikation – “Viel hilft viel, und ich feuere mal munter raus. One size fits all” – ist die schlechteste aller Methoden. Je zielgerichteter, je präziser ich auf die Interessen der Zielgruppe eingehe, umso wirksamer ist sie. Man muss es nur tun!

Nochmals ambitionierter wird die Stakeholder-Orientierung mit der CommTech-Philosophie: Ich muss nicht nur die Zielgruppe als solche identifizieren, sondern ich muss auch deren Standort, also auf individueller Ebene, in die Stakeholder-Journey einbeziehen. Es macht eben einen Unterschied, ob ich mich an jemanden wende, der noch nie von der Marke/Produkt/Lösung gehört hat oder damit bereits sehr vertraut ist. Berücksichtige ich das, was sehr viel mehr Einsatz von Daten inder Kommunikation voraussetzt, wird sie viel präziser und wirksamer.

5. Kanäle

Ein Newsroom braucht ein klares Verständnis dafür, welche Kanäle bestehen und wie erfolgreich sie sind. Welche Kanäle funktionieren nicht und wo fehlen Zugänge zu wichtigen Stakeholdern? Passen meine Kanäle eigentlich mit der Audience, die ich definiert habe, zusammen? Das Ziel ist ein Match zwischen Audience und Stakeholder Map und Kanälen.

Aus alldem muss ein Kanal-Playbook entstehen, das Owner, Audiences, Frequenzen beschreibt und den Themenverantwortlichen klar hilft, ihre Inhalte passgenau auszuspielen.

6. Agilität

Ein Corporate Newsroom wird nur funktionieren, wenn er durch die Teamstrukturen und Prozesse unterstützt wird. Erst einmal geht es grundsätzlich um das Ziel, im Newsroom die Reaktionsgeschwindigkeit zu erhöhen und auf kurzfristige Gelegenheiten zu reagieren. Wenn man langfristig eine Messe oder ein großes Event als Kommunikationsprojekt betreut, klappt die Zusammenarbeit oft auch heute. Da hat man Zeit, die Dinge durchzudeklinieren. Das sind die Erfahrungen, die oft herangezogen werden, wenn Kommunikationsverantwortliche sagen: „Newsroom, das machen wir doch längst“. Die Fähigkeit, kurzfristig reagieren zu können, setzt dagegen eine Organisation voraus, die durch ein hohes Maß an Eigenverantwortlichkeit, Flexibilität, Selbststeuerung und Kooperation gekennzeichnet ist. Man nennt solche Organisationen heute „agil“.

Es gibt sechs Dimensionen von Agilität, wie die die Akademische Gesellschaft für Kommunikation und Unternehmensführung in Leipzig erforscht hat. Strukturen, Prozesse, Mitarbeiter, Kultur, Technologien und Tools. Es sind diese Dimensionen, die in Summe die Agilität eines Teams ausmachen. Und deswegen ist es nicht damit getan, sich in den Kreis zu setzen und an der Hand zu halten und zu sagen, “Ja, aber wir sind jetzt agil.” Vielmehr ist es einsteiniger Weg, die Micro-Kultur eines Teams zu verändern und alle Hebel zu bewegen, die diese Veränderung unterstützen: Habe ich die richtigen Tools zur Verfügung, mit denen ich arbeiten kann? Habe ich die richtigen Organisationsstrukturen geschaffen, die meine Prozesse unterstützen? Fülle ich als Leiter/in der Funktion die Rolle als coachende Führungskraft aus und habe ich mich von überkommenen Führungsmethoden verabschiedet? Und das, fortgesetzt über all diese sechs Dimensionen, und jede im Detail betrachtet, mit Workstreams belegt, die sich mit diesen Fragen befassen, führt dann am Ende in einem langen Prozess zu einem agilen Team.

Die Wahrheit ist, dass die meisten Kommunikationsfunktionen nicht an der Einführung eines Redaktionsplanungssystems scheitern (obwohl auch das nicht so selten ist), sondern nicht in der Lage sind, die notwendigen kulturellen Veränderungen zu bewerkstelligen. Die Crux ist, dass Organisationen, die sich schwer damit tun, ihre eigene Existenzberechtigung mit Hilfe einer Vision, Mission und unterstützenden Werten zu begründen, oft auch nicht die Speerspitze in Sachen Unternehmenskultur bilden. Kommunikationsverantwortliche in diesem Umfeld können sich entweder einen anderen Job suchen oder die Herausforderung annehmen, als Treiber der notwendigen Veränderungen zu agieren. Wenn die Kommunikation zu diesem Zweck auch die Fähigkeit besitzt, Veränderungsprozesse (Change) zu programmatisch zu treiben, ist schon mal ein Erfolgsfaktor gesetzt.

Über den Autor: Thomas Mickeleit, bekleidet seit 35 Jahren Führungspositionen in der Kommunikation, u.a. als Leiter Unternehmenskommunikation bei Grundig, IBM, Volkswagen und zuletzt bei Microsoft. Seit 2021 hilft er Kommunikationsfunktionen mit seiner Beratungs-Boutique „KommunikationNeuDenken“ auf ihrem Weg in der digitalen Transformation. Mickeleit ist auch Leiter der Arbeitsgemeinschaft CommTech, in der rund 250 Kommunikationsverantwortliche an der Digitalisierung der Profession arbeiten.



[1] Was die 31 Prozent der Newsroom-Betreiber, so ist nicht gesichert, ob diese Selbsteinschätzung wirklich zutrifft. Ältere Untersuchungen von René Seidenglanz von der Quadrigaaus dem Jahr 2019 haben ergeben, dass von den damaligen 19 Prozent, die behaupteten, “Wir haben einen Newsroom”, nur 4 Prozent wirklich alle Kriterien eines Newsrooms erfüllen.   



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