Interview Michael Schmidtke: „Let the content flow“

‍Michael Schmidtke leitet das Content Flow Management sowie die digitalen Kanäle der Unternehmenskommunikation von Bosch. Im Interview mit der AG CommTech erläutert er, welche Rolle Daten im modernen Kommunikationsmanagement spielen und er verrät, warum Kreativität und Spaß an der Sache wichtige Erfolgsfaktoren bleiben. Die Fragen stellte Klaus Treichel von der AG CommTech.

Klaus Treichel: Ist die datenbasierte Kommunikation eine neue Disziplin der Corporate Communications?

Michael Schmidtke: Bosch hat früh damit begonnen, datenorientierte Kommunikation zum Treiber für seine Themensteuerung zu machen. So richtig Fahrt hat das Thema dann mit der Einführung des Content Flow Managements Anfang 2020 aufgenommen, als der datengestützte Ansatz nicht nur für die digitale Kommunikation, sondern für alle Kommunikationsdisziplinen eingeführt wurde.

Klaus Treichel: Wie erfolgskritisch ist es für die Gesamtkommunikation einer Organisation, systematisch Daten zu generieren und daraus Maßnahmen abzuleiten?

Michael Schmidtke: Wenn sich eine Kommunikationsabteilung ernsthaft mit der Frage auseinandersetzt, inwieweit ihre Arbeit eine Wirkung erzielt und erfolgreich ist, dann führt kein Weg an einem datengestützten Ansatz vorbei. Daten liefern sicher nicht die einzige Antwort auf die Frage nach dem Erfolg, aber ein wichtige.

Klaus Treichel: Mit welchen Chancen ist die datengetriebene Kommunikation verbunden? Was sind dabei die wichtigsten Vorteile?

Michael Schmidtke: Die Wirkung von Kommunikation lässt sich heute digital in Echtzeit messen. Kommunikationstechnologien helfen dabei, nur relevante Inhalte an die Zielgruppen auszuspielen. Wer datenbasierte „Comm Tech“-Infrastrukturen und „Content Flow“-Prozesse intelligent nutzt, kann Kommunikation wirksamer organisieren, Budgets
effizienter aussteuern und das Messaging konsistenter und zielgerichteter gestalten.

Klaus Treichel: Vor welchen Herausforderungen steht Bosch, wenn es um die Digitalisierung in der Kommunikation geht?

Michael Schmidtke: Ob Mitarbeiter, Journalisten, Influencer, Kunden, Bewerber oder politische Akteure: Jede Kommunikationsdisziplin hat spezifische Zielgruppen und daraus abgeleitet spezifische Formate, Inhalte und Prozesse. Die Digitalisierung in der Kommunikation bei Bosch zielt auf die bereichsübergreifende Zusammenarbeit dieser unterschiedlichen Disziplinen. Dabei besteht die große Herausforderung darin, durch diese Zusammenarbeit und übergreifende Prozesse mehr Wirkung zu erzielen.

Klaus Treichel: Was verstehen Sie bei Bosch unter „Content Flow“? Ist das mehr als das, was ein Newsroom bewirken soll?

Michael Schmidtke: Das Ziel von Content Flow Management besteht darin, Synergien zu heben und das Messaging konsistenter und zielgerichteter zugestalten. Im Marketing ist ein solcher Ansatz unter dem Konzept „Content Marketing“ bekannt. In der PR fasst man dies häufig unter dem Begriff „News Flow Management“ oder kurz „Newsroom“ zusammen. Wir haben einen Begriff gesucht, der von allen Disziplinen gleichermaßen unterstützt wird. In diesem Sinne soll Content Flow Management methodisch das Beste aus allen Disziplinen verbinden, aus Content Marketing und News Flow. Einen Newsroom haben wir ganz bewusst nicht eingeführt.

Klaus Treichel: Welche Tools setzt Bosch ein, was ist das zentrale Tool?

Michael Schmidtke: Die zentrale Plattform für die Planung und Ausspielung von Inhalten ist eine Content Marketing Suite namens Percolate, auf der mehr als 2.000 Bosch Kommunikatoren und Marketingexperten weltweit zusammenarbeiten.

Klaus Treichel: 2.000 Bosch-Mitarbeitende nutzen die zentrale Plattform. Wie wichtig ist es, dass hier funktionsübergreifend gearbeitet wird, also quer über Kommunikation, Marketing, HR etc. hinweg? Und wer hat den Hut auf?

Michael Schmidtke: Zunächst nutzt jede Einheit oder Disziplin die Plattform für ihre Zielgruppen und Kommunikationsinhalte und hat dafür auch den Hut auf. Darüber hinaus arbeiten alle Teams jeweils bei einem Thema pro Quartal bereichsübergreifend zusammen. Wir sprechen dann von „Content Waves“: Ein Thema pro Quartal, auf das sich die Content Experten aller Kommunikationsdisziplinen und Regionen vorher einigen, für das alle inhaltlich soweit möglich mit ihren Formaten beitragen und bei dem wir durch eine gemeinsame Planung die Wirkung noch einmal deutlich erhöhen können. Für diese „Content Waves“, deren Inhalte ungefähr ein Viertel der Gesamtkommunikation ausmachen, hat das Content Flow Management den Hut als orchestrierende Einheit auf.

Klaus Treichel: Welche Rolle spielt das Content Marketing? Wie grenzen Sie das zur Werbung ab?

Michael Schmidtke: Content Marketing beschreibt in meinem Verständnis einen Prozess, wie Content in unterschiedlichen Prozessschritten geschaffen, publiziert, promotet, dialogisch begleitet und analysiert wird, um dann wiederum erneut diesen Prozess zu durchlaufen: Creation, Publishing, Promotion, Engagement, Listening. Vor allem der letzte Schritt ist wichtig für das Content Flow Management: Die Analyse, das Zuhören und das permanente Lernen aus dem Feedback der Nutzer. In einer perfekten Welt werden so Inhalte konsequent an den Erwartungen der Zielgruppen ausrichtet. Vereinfachend könnte man auch von einem „outside-in“-Ansatz sprechen, während in bestimmten Teilen der Werbung vielleicht eher ein „inside-out“-Ansatz zugrunde liegt.

Klaus Treichel: Datengetriebene Kommunikation ermöglicht uns heute, die Medienresonanz präzise zu messen – und das sogar in Echtzeit. Ihr Content Flow Management geht aber darüber hinaus: Was ist Ihnen bei der Daten-Analyse und der Erfolgsmessung noch wichtig?

Michael Schmidtke: Wenn man die Wirkung von Kommunikation wirklich messen will, reicht es nicht, nur den Output zu messen. Vielmehr gilt es, auch den Outcome zu messen und die Zielgruppen direkt zu befragen. Nur so kann überprüft werden, inwieweit die Kommunikationsmaßnahmen tatsächlich die Wahrnehmung verändert haben.

Klaus Treichel: Was war die größte Überraschung, die Bosch bei der Einführung des Content Flow Management erlebt hat?

Michael Schmidtke: Anfang 2021 haben wir kommuniziert, dass Bosch als erstes großes Industrieunternehmen an all seinen Standorten die CO2-Neutralität erreicht hat. Eine großartige Botschaft! Und unsere Output-Analysen haben gezeigt, dass sehr viele deutschsprachige und internationale Printmedien dieses Thema aufgegriffen haben. Auch im Digitalen hatten wir Rekordwerte zu verzeichnen. Entsprechend überrascht waren wir, dass unsere Outcome-Befragungen noch einige „weiße Flecke“ aufzeigten und die Botschaften noch nicht bei allen uns wichtigen Zielgruppen durchgedrungen waren. Deshalb haben wir entschieden, eine weitere „Content Wave“ zum Thema Nachhaltigkeit über alle Gewerke hinweg auf die Beine zu stellen. Mit dieser zweiten Welle ist es uns schließlich gelungen, durch einen datengetriebenen Ansatz für ein zentrales Kommunikationsthema eine dann auch durchgängig messbare Wirkung zu erzielen.

Klaus Treichel: Was tun Sie dagegen, um in der Datenflut nicht unterzugehen? Wie setzen Sie Prioritäten, um sich bei den vielen Dashboards und Analysen nicht in den Details zu verlieren?

Michael Schmidtke: Wir fokussieren uns vor allem inhaltlich. Ein klares Kommunikationsziel und entsprechend klare Fragestellungen sind die beste Versicherung gegen ein Untergehen in der Datenflut. Hier haben wir in den letzten Jahren große Fortschritte gemacht und können so die zur Verfügung stehenden Daten auch viel effektiver und effizienter nutzen.

Klaus Treichel: Wieviel Zeit sollte sich eine Kommunikationsabteilung geben, um einen digitalen Prozess zu entwickeln? Womit sollte man anfangen?

Michael Schmidtke: Es empfiehlt sich, einen Prozess wie den Content Flow erst einmal in einer Disziplin zum Laufen zu bringen und damit konkrete Erfolge zu erzielen. Im zweiten Schritt gilt es, Prozesse in anderen Disziplinen genau zu analysieren und auf dieser Grundlage einen neuen übergreifenden Prozess zu etablieren, die das Beste aus allen Disziplinen abbildet, ohne die erfolgreichen Prozesse in den Disziplinen dabei zu schwächen. Das dauert, bis man hier gemeinsam Maß und Mitte gefunden hat. Bereichsübergreifende Zusammenarbeit ist immer auch ein Change-Prozess und wir Kommunikatoren wissen, dass solche Prozesse oft Jahre in Anspruch nehmen.

Klaus Treichel: Eignet sich das Content Flow Management auch für kleinere und mittlere Unternehmen?

Michael Schmidtke: Der Prozess des Content Flows mit seinen fünf Kernelementen (Creation, Publishing, Promotion, Engagement, Listening/Analytics) ist ein Kernprozess jeder Kommunikationsabteilung unabhängig von der Größe. Er verbindet auch die unterschiedlichen Kommunikationsdisziplinen von der PR bis zum Marketing und stärkt die bereichsübergreifende Zusammenarbeit. Deshalb bin ich davon überzeugt: Content Flow Management ist für alle Unternehmensgrößen und Disziplinen geeignet, der Flow ist für alle da.

Klaus Treichel: Wer mit Daten umgeht, kann alles messen. Aber ist es wirklich wünschenswert, den Erfolg von Kommunikation nur anhand von Zahlen darzustellen? Besteht nicht die Gefahr, dass die Kreativität auf der Strecke bleibt?

Michael Schmidtke: Man darf den datenorientierten Ansatz unter keinen Umständen überhöhen. Wenn die Kreativität und der Spaß an der Arbeit über einen längeren Zeitraum hinweg abnehmen, läuft etwas falsch. In dem „Flow“-Begriff ist das Thema Kreativität fest verankert: Wir allen kennen den Zustand, den die Psychologen „State of Flow“ nennen, wenn man alles um sich herum vergisst, weil man Musik macht, tanzt oder etwas anderes kreatives. Denken Sie an Kinder im „State of Flow“ wenn sie etwas basteln. Kreativität ist fest verankert im Content Flow Management. Aber es gibt im Contentbereich eben nicht nur die Kreation, sondern auch das Publishing oder eben die Analytics. Dabei steht stets die Frage nach der Zusammenarbeit im Mittelpunkt: Wie können „Kreative“, „Techies“ und „Zahlenmenschen“ ihre unterschiedlichen Stärken in einen gemeinsamen Prozess einbringen?

Klaus Treichel: Wie geht man mit möglichen Konflikten bei der bereichsübergreifenden Zusammenarbeit um?

Michael Schmidtke: Manchmal ist die Zusammenarbeit über die Disziplinen hinweg nicht einfach und fühlt sich an wie ein „Hip Hop Battle“ wie es Shawn und Shawna im Video „Live Sustainable #LikeABosch“ miteinander austragen. Wichtig ist, dass man auch in diesen Situationen alles dafür tut, gemeinsam im Flow zu bleiben, die verbindenden Ziele nicht aus den Augen zu verlieren und die Konflikte kreativ zu lösen. Vor Konflikten sollte man keine Angst haben, sie können sehr produktiv sein, das weiß jeder Storyteller: Every great story has a conflict!

Klaus Treichel: CEOs und CFOs haben den Vorteil, dass ihre klassischen KPIs wie Umsatz oder Gewinn anerkannte Messgrößen sind. Ist es möglich, dass wir uns in der Kommunikation auch eines Tages auf vergleichbare Messgrößen einigen können? Oder entzieht sich die Kommunikation einer standardisierten Bewertung?

Michael Schmidtke: Datenorientierte Ansätze können helfen, die Wirkung mit Blick auf bestimmte Kommunikationsziele zu steigern und messbar zu machen. Integrierte Kennzahlen wie Sichtbarkeit, Sentiment, Share of Voice oder bestimmte Umfragewerte können helfen, eine einheitliche „Währung“ für den Kommunikationserfolg zu etablieren. Darauf würde ich mich zunächst konzentrieren, denn da stehen wir in vielen Bereichen auch erst am Anfang. Inwieweit aus diesen Ansätzen vielleicht auch einmal ein größeres Bild entstehen kann, das die Wirkung der Gesamtkommunikation zu fassen vermag, das ist für mich aus heutiger Sicht noch schwer zu beurteilen.

Klaus Treichel: Bosch ist mit dem Anspruch, die Digitalisierung für mehr Effizienz in der Kommunikation zu nutzen, schon einen guten Schritt vorangekommen. Wie weit ist noch der Weg, um das ultimative Ziel der Digital-Kommunikation, nämlich eine Stakeholder Journey, zu erreichen?

Michael Schmidtke: Wichtig ist doch für uns Kommunikatoren, dass die richtigen Inhalte zu den richtigen Leuten gelangen und dort eine Wirkung entfalten. Natürlich spielt die Stakeholder Journey hier eine wichtige Rolle, aber für mich ist dies kein „ultimatives Ziel“ der Digital-Kommunikation. Es gibt auch andere Wege, Inhalte konsequent an den Erwartungen der Stakeholder auszurichten, wie ich sie beispielsweise mit dem Outcome-Ansatz, also mithilfe von Befragungen oder anderem interaktiven Feedback, skizziert habe.

Klaus Treichel: Halten Sie es für realistisch, dass wir in der Kommunikation die Stakeholder Journey automatisieren können?

Michael Schmidtke: In klar umrissenen Anwendungsbereichen, wie z.B. auf Websites oder bei Chatbots sehe ich vielversprechende Ansätze, um für Zielgruppen attraktive Angebote zu machen. Was den dialogischen Austausch mit Stakeholdern angeht, so muss sich noch zeigen, ob hier ausreichend Mehrwert entsteht. Automatisierung als Selbstzweck halte ich nicht für zielführend.

Klaus Treichel: Was ist aus Ihrer Sicht der nächste Entwicklungsschritt? Welcher Trend zeichnet sich ab?

Michael Schmidtke: Durch Instagram & Co hat sich das Mediennutzungsverhalten beim visuellen Content enorm verändert. Für eine Kommunikationsabteilung ist die Fähigkeit, diese neuen Formate richtig zu bedienen, aus meiner Sicht eine ähnlich weitreichende Herausforderung wie damals, als wir durch Social Media die Fähigkeit zum Dialog in Echtzeit aufgebaut haben. Und in die Zukunft gedacht: Wenn mit dem Internet der Dinge Autos, Küchen und andere smarte Objekte mehr und mehr zu Medien werden, wird das die Kommunikation nachhaltig verändern. Dabei wird der Stimme, dem gesprochenen Wort und dem damit verbundenen digitalen Dialog sicherlich eine neue Bedeutung zukommen. Ich bin schon gespannt darauf, welche neuen Formate hier entstehen werden.



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