- 1. Februar 2022
- Veröffentlicht durch: Die Redaktion
- Kategorie: NEWS
Daten machen in der PR den Unterschied
Autor: Thomas Mickeleit
Seien wir ehrlich, welcher Kommunikator hat nicht schon mal unter den subtilen Zurücksetzungen gelitten, die uns im Unternehmensalltag begegnen. Da fliegt die Vorstellung einer wichtigen Kommunikationsstrategie von der Vorstandsagenda – wegen anderer „Prioritäten“, der Briefingtermin für ein Interview wird auf zehn Minuten gekürzt oder Warnungen vor einem Handeln oder Nicht-Handeln und seinen kommunikativen Folgen in den Wind geschlagen.
In der Regel richten sich diese Missachtungen nicht gegen die Person, sondern es ist die Funktion „Kommunikation“, die nicht auf Augenhöhe mit Finanzen, Personal und Marketing (von Produktion und Vertrieb ganz zu schweigen) gesehen wird. Dieser Befund wird durch Erhebungen gedeckt, die schon im “European Communications Monitor 2019” nachzulesen sind.
Während 93 Prozent der Kommunikatoren meinen, sie genießen das persönliche Vertrauen ihrer Top Executives, glauben nur 67 Prozent, dass das auch für ihre Funktion gilt1. Eindeutiger noch eine ganz aktuelle Studie des IMWF2. Auf die Frage, auf welche Funktion das Top-Management der Organisation vor allem hört, wenn es um strategische Fragen geht, liegt Finanzen / Controlling mit 63 Prozent weit vorn. Kommunikation landet mit 36 Prozent abgeschlagen im Mittelfeld.
Wichtiger als der Befund ist die Frage, warum das so ist – und auch da gibt es Indikationen. Wenn Comms Professionals in ihrer Organisation als Schlüsselfiguren gesehen werden wollen, müssen sie die Sprache des Managements nutzen und Erfolge entsprechend reporten3. Damit stoßen wir zum Kern des „Problems“ vor. Während in Finance der Umsatz-Forecast häufig mit Hilfe von künstlicher Intelligenz zu verblüffend exakten Ergebnissen führt, im Vertrieb die Arbeit ohne die Auswertungen aus dem Customer Relationship Management-System (CRM) fast unmöglich würde und die Customer Journey im Marketing unter dem Stichwort „Automated Marketing“ begleitet wird, spielen Technologie und Daten in der Kommunikation bislang nur eine untergeordnete Rolle.
Es mag damit zu tun haben, dass die Profession magisch alle anzieht, die in Mathe und Physik nicht ihre Erfüllung gefunden haben. Deshalb wird das ganze „Technik-Gelumpe“, mit dem die Kolleginnen und Kollegen aus anderen Unternehmensfunktionen die Beweiskraft ihrer Aussagen erhöhen, eher argwöhnisch betrachtet oder gar abgelehnt. Es gibt auch andere Gründe und wenn es das knappe Budget ist. Unterm Strich hat das fatale Folgen.
Wir müssen lernen, datenbasiert zu arbeiten
Wir befinden uns als Kommunikatoren in einer Aufholjagd gegenüber anderen Unternehmensfunktionen. Das kratzt vordergründig an der Reputation. Schon, wenn wir Akzeptanz als „Trusted Advisor“ für das Management gewinnen wollen, müssen wir lernen, datenbasiert zu arbeiten und von anderen Unternehmensfunktionen lernen. Falls wir aber dauerhaft abgehängt werden, geht es nicht nur um das Standing in der Organisation, sondern darum, ob Kommunikation in einem datengetriebenen Umfeld ihren Wertschöpfungsbreitrag überhaupt noch erbringen kann.
Was wir vom Marketing lernen können
Marketing hat sich in den letzten Jahren einen durchgreifenden Wandel verordnet. Mit der Erfindung von Content Marketing und dem Aufkommen von Social Media operieren Marketing und Kommunikation im gleichen Gewässer, allerdings mit unterschiedlichen Zielen – und mit unterschiedlichem Erfolg. Lasst uns anerkennen, dass Marketing mit der Customer Journey und dem zum Abschluss führenden „Funnel“ eine hochwirksame Methodik beherrscht, bekannt auch als „Automated Marketing“. Das wiederum ist getrieben von MarTech, also der durchgängigen datenbasierten Abbildung aller Kundenkontakte auf dieser Reise. Davon können wir derzeit in der Kommunikation nur träumen. Der Erfolgsfaktor sind hier wie überall Daten. Wer hat wann an welchem Produkt oder an welcher Dienstleistung ein wahrscheinliches Interesse und wie erreiche ich diese Person. Bildlich gesprochen ersetzt das den blind abgefeuerten Schuss mit dem Schrotgewehr mit einem gezielten Schuss aus dem Jagdgewehr.
Content ist King – aber nicht, wenn ihn keiner kennt
Wir dürfen uns nicht künstlich klein machen, aber zur Wahrheit gehört auch, dass Kommunikatoren den Löwenanteil der Arbeit in die Erstellung des Contents stecken und schon bei der Frage nach der bestmöglichen Distribution gelangweilt reagieren. Das war schon beim Versand von Pressemitteilungen so, wo der „One-Size-Fits-All-Verteiler“ ohne weitere Prüfung zum Einsatz kam, und findet seine Fortsetzung in blindem Aktionismus bei der Bedienung von Social-Media-Kanälen. Hauptsache raus – in Verkennung, dass dann die Arbeit erst beginnt. Was wäre, wenn es Kommunikation gelänge, analog zur Customer Journey eine Stakeholder-Journey zu beschreiben, an deren Ende kein Kauf, sondern das Generieren eines „Fans“ steht.
Dass dieser Gedanke keine Utopie ist, wenn auch in den Kinderschuhen steckend, lernen wir aus der schon fortgeschritteneren Debatte in den USA. Der Begriff CommTech – in Anlehnung an MarTech – erfährt zunehmend Beachtung und wurde zuletzt durch die “Arthur Page Society”4 breiter zugänglich. Sie spricht von CommTech sogar als neuer Profession.
Dabei geht es im Kern darum, Unternehmen in die Lage zu versetzen, Stakeholder als Individuen und nicht pauschal als Zielgruppe zu adressieren, mit Hilfe von datengetriebener Präzision, die vier Kernbereiche (siehe Abb. 1) abdeckt5: Werkzeuge, Analysen, Methoden und Agilität.
Es würde den Rahmen dieses Beitrags sprengen, in der erforderlichen Breite darzustellen, wo uns die Idee von CommTech helfen kann, eine holistisch angelegte, datengetriebene End-to-end Kommunikation aufzubauen. Wir werden sie allerdings benötigen, um für unsere Profession nachzuvollziehen, was Marketing schon weitgehend umgesetzt hat.
Womit wir nicht länger warten dürfen ist Daten zu nutzen, die uns im Grunde zur Verfügung stehen und damit im Reporting und wichtiger noch, in der strategischen Beratung faktenbasiert argumentieren zu können. Daran mangelt es noch ganz offensichtlich. Nach der Selbsteinschätzung von Kommunikatoren, warum es anderen Unternehmensfunktionen stets besser gelingt, sich in der Unternehmensleitung als erfolgreich darzustellen, denken 54 Prozent der Befragten in der schon zitierten IMWF-Studie vom März 2021 „es fehlt an harten Zahlen“ und identifizieren diesen Umstand als die wichtigste Hürde, Kommunikation auf Augenhöhe zu bringen.
„Harte Zahlen“ sind „relevante Zahlen“
Das wird schnell deutlich, wenn man etwas genauer hinschaut. Beispiel Medienauswertungen: Immerhin sind es nur noch wenige Kommunikatoren, die ihren Erfolg monatlich an der Höhe des ausgedruckten Clipping-Stapels messen. Wahr ist allerdings auch, dass ein nicht unerheblicher Teil der PR-Budgets in die Erstellung von Clipping-Reports fließt, die unterm Strich keinem besseren Zweck dienen, nämlich zu Reporting-Zwecken. In der Praxis wird oft mit erheblichem Abstand auf das Geschehen geblickt. Erfolgsmessung ist eine sehr, sehr nachgelagerte Angelegenheit und je größer der Abstand zwischen einem medialen Ereignis und der Erfolgsmessung ist, umso weniger „relevant“ ist das Ergebnis. Welche Erkenntnisse kann das Kommunikationsmanagement oder gar die Unternehmensleitung aus aggregierten vier Wochen alten Daten ziehen, außer, dass sich daraus ein vielleicht gutes Gefühl einstellt, was Aufwand und Ergebnis einer Aktivität angeht.
Mehr und mehr Kommunikatoren verspüren das Unbehagen, dass ihnen da etwas fehlt. Nur 67 Prozent der vom IMWF befragten Kommunikationsverantwortlichen haben am Tag nach einem Medienereignis Informationen über die Anzahl der Veröffentlichungen. Nur etwas mehr als die Hälfte (54 %) kennen am nächsten Tag die Verteilung auf die unterschiedlichen Medienkanäle und nur etwas mehr als ein Drittel (35 %) kennt nach einem Tag die Tonalität der Beiträge6. Für die große Mehrheit der Kommunikatoren bedeutet das nichts anders, als Kommunikation im permanenten Blindflug zu betreiben. Tatsächlich ist es so, als zeige einem das Navi im Auto immer als eigenen Standort einen Punkt, der einen Kilometer zurück liegt. Wie soll man da die richtige Abfahrt erwischen? Wie soll man so das Ziel je erreichen?
Dass Medienauswertungen unter den gegebenen Umständen „nur“ für ein Reporting genutzt werden können, das allenfalls auf der Meta-Ebene und in langen Zyklen gedacht zur Steuerung von Kommunikation taugen, überrascht also nicht. Von einem strategischen Ansatz der Kommunikationssteuerung sind wir damit weit entfernt, von CommTech und einem End-To-End Stakeholder-Management ganz zu schweigen.
Was Kommunikationsverantwortliche benötigen sind „Daten in Echtzeit“.
Nur Daten quasi in Echtzeit befähigen zum Schritt vom retrospektiven Reporting zur vorausschauenden Steuerung von Kommunikation – operativ und strategisch. Ganz praktisch gesprochen: Nur die unmittelbare Verfügbarkeit von umfassenden Auswertungen zur Tonalität bis auf die Ebene von einzelnen Akteuren im Meinungsmarkt, erlaubt Interaktionen, ein Nachjustieren von Botschaften, die Positionierung von „third-party-voices“, die wirkungsvolle Orchestrierung von Owned, Earned und Paid über alle Kanäle hinweg. Dieses Vorgehen steigert die Wirksamkeit einer laufenden Aktivität oder verschafft die Möglichkeit bei einem aufkommenden Issue frühzeitig einzugreifen.
Strategisch wird es, wenn aus den gewonnenen Daten unmittelbare Schlussfolgerungen und Weichenstellungen für weitere Kommunikationsmaßnahmen getroffen werden. Wenn ich etwa erkenne, dass die Besetzung eines Themas besonders gut gelingt, wenn es im Kontext eines bestimmten anderen gespielt wird oder wie sich meine Wahrnehmung zu einem Thema im Verhältnis zum Wettbewerb verändert. Im CommTech Kontext hieße das die systematische Erfassung der potentiellen „Fan-Base“ und ihre weitere Ansprache – alles DSGVO konform versteht sich.
Gegen den Vorschlag so vorzugehen, erwarte ich keinen Widerspruch. Erwartbar ist der Einwand, wie soll das gehen und wer soll das bezahlen? Die gute Nachricht ist, Big Data und der Einsatz von künstlicher Intelligenz arbeiten an der Stelle für uns. Die erheblichen zeitlichen Verzögerungen bei der Zulieferung von Medienauswertungen sind dem Umstand geschuldet, dass sie in den allermeisten Fällen ausschließlich menschlich vollzogen werden. Eine internationale Auswertung eines Themas wird damit schnell zum Großprojekt, an dem hunderte von Auswertern eingesetzt sind – mit einem entsprechenden Preisticket. Das erklärt, warum nur ein Bruchteil der Unternehmen über die steuerungsrelevanten Daten innerhalb von Stunden verfügt und diese naturgemäß zur DAX-Riege zählen oder ähnlich potent sind.
Algorithmen demokratisieren
Man darf sich freuen, dass es inzwischen allerdings Fortschritte bei der Entwicklung von Algorithmen gegeben hat, die eine maschinelle Auswertung in einem Bruchteil der Zeit und Kosten ermöglichen. Wie schon aus anderen Zusammenhängen bekannt, ermöglichen Cloud-Services Zugänge selbst für kleinere Unternehmen und „demokratisieren“ diese Services damit in geradezu revolutionärer Weise. Zugegebenermaßen ist der Markt, obwohl von der Zahl der Spieler überschaubar, recht undurchsichtig. Insbesondere klaffen erhebliche Lücken zwischen den Versprechen, was möglich ist, zu dem, was geliefert wird, wie ich aus eigener Anschauung bestätigen kann. Für Kommunikationsverantwortliche heißt das, den naheliegendsten Schritt zu gehen und Analysedaten in einer zeitgemäßen Form zu generieren. Die Aufwände steigen vermutlich (abhängig vom Umfang der Auswertungen), was aber auf jeden Fall steigt, ist – um den Bogen zu schlagen – die Fähigkeit relevante Daten in die Organisation zu bringen, die Entscheidungsgrundlage auf operativer und strategischer Ebene sein können.
Der Ansatzpunkt der Medienanalyse, ergänzt durch ein breit angelegtes Social Listening ist nicht zufällig gewählt. Mit wenig Mühe lässt es sich zur wirksamen Grundausstattung der Echtzeit-Sensorik ausbauen – und Organisationen einen guten Schritt auf dem Weg zu CommTech vorankommen.
1) Zerfass, A., Vercic, D., Verhoeven, P., Moreno, A. & Tench, R. (2019). European Communications Monitor 2019. Exploring trust in the profession, transparency, artificial intelligence and new content strategies. Results of a survey in 46 countries. Brussels: EUPRERA/EACD, Quadriga Media Berlin. ECM2019-Results-ChartVersion (communicationmonitor.eu)
2) IMWF, Befragung von Fach- und Führungskräften in der PR, März 2021 (nicht veröffentlicht)
3) Volk, S. C., Berger, K., Zerfass, A., Bisswanger, L., Fetzer, M., Köhler, K. (2017). How to play the game.
Strategic tools for managing corporate communications and creating value for your organization, S. 17 (Communication Insights, Issue 3). Leipzig, Germany: Academic Society for Management & Communication. Available online at Academic Society.
4) Home – CommTech Guide (page.org)
5) Abb. 1. The four Building Blocks of CommTech, Arthur Page Society, CommTech Guide, S. 17 (2020)
6) IMWF Umfrage unter Fach- und Führungskräften in der PR, März 2021 (nicht veröffentlicht)
Über den Autor: Thomas Mickeleit war bis 2020 als Kommunikationsdirektor und Mitglied der Geschäftsleitung für Microsoft Deutschland tätig. Mit dem frühen Einsatz von datenbasierter Kommunikation und der Etablierung eines Newsroom-Modells setzte der Volljurist dort neue Maßstäbe. Zuvor wirkte Mickeleit erfolgreich als Leiter Unternehmenskommunikation bei der Volkswagen AG und als Director of Communications bei IBM Deutschland. Heute ist er als Kommunikationsberater für Digitale Kommunikation tätig und Mitglied im wissenschaftlichen Beirats des Instituts für Management und Wirtschaftsforschung (IMWF), Hamburg.
Zum Thema Mehrwert von Daten in der PR veranstaltet das IMWF ein Webinar, das hier angekündigt wird. Einer der Experten, die zu Wort kommen, ist Thomas Mickeleit.