- 7. Oktober 2025
- Veröffentlicht durch: Die Redaktion
- Kategorie: BEST PRACTICES

Europäischer AI-Act: „Kommunikatoren müssen sich jetzt in den Driver Seat setzen“
Interview mit Thomas Mickeleit. Er ist Gründer der AG CommTech. Mit seiner Beratungsboutique begleitet er Kommunikationsabteilungen bei ihrer digitalen Transformation. Mickeleit war u.a. 15 Jahre Kommunikationschef von Microsoft Deutschland.

AG CommTech: Thomas, viele haben vom AI-Act bislang nur am Rande gehört. Worum geht es im Kern?
Thomas Mickeleit: Der AI-Act ist das erste umfassende Regelwerk für Künstliche Intelligenz weltweit. Die EU versucht, einen Ausgleich zu schaffen: Innovation ermöglichen, aber gleichzeitig Grundrechte und Werte schützen. Das zieht sich wie ein roter Faden durch den gesamten Text – Innovation ja, aber unter menschlicher Aufsicht und klarer Verantwortung.
AG CommTech: Der Act unterscheidet zwischen „Anbietern“ und „Betreibern“. Was heißt das für Unternehmen?
Thomas: Anbieter entwickeln KI-Systeme und bringen sie in den Markt – das sind natürlich die Anbieter der großen Sprachmodelle wie OpenAI, aber auch jedes Unternehmen, das eigene KI-Tools baut und sie vermarktet. Betreiber sind die Nutzer. Für beide gelten unterschiedliche Pflichten. Anbieter müssen sehr detailliert dokumentieren, Datenqualität nachweisen und Risikomanagement betreiben. Betreiber – also wir in der Kommunikation – müssen die Systeme korrekt einsetzen, Aufsicht führen und dokumentieren, wie sie genutzt werden. Viele Unternehmen werden beides gleichzeitig sein.
AG CommTech: Wie genau regelt der AI-Act die Risiken?
Thomas: Die EU arbeitet mit einer Risikopyramide:
- Unannehmbares Risiko: z. B. Social Scoring oder Emotionserkennung am Arbeitsplatz – verboten.
- Hohes Risiko: etwa biometrische Identifikation, Bildung oder kritische Infrastrukturen. Hier gelten die strengsten Auflagen bis hin zur CE-Zertifizierung.
- Begrenztes Risiko: darunter fallen für uns wichtige Tools wie Chatbots. Sie sind erlaubt, müssen aber transparent als KI erkennbar sein.
- Minimales Risiko: z. B. Spamfilter oder Musikempfehlungen – hier gibt es keine besonderen Pflichten.
AG CommTech: Für die Kommunikation klingt vor allem die Transparenzpflicht wichtig.
Thomas: Absolut. Nutzer müssen wissen, dass sie mit einer KI interagieren. Das betrifft Chatbots, KI-Texte und erst recht natürlich Deepfakes. Wenn Du einen Text 1:1 aus ChatGPT übernimmst, musst Du ihn kennzeichnen. Auch eine Überprüfung und Rechtschreibkorrekturen lassen die Kennzeichnungspflicht nicht entfallen. In der Praxis ist das schwer nachzuvollziehen – viele Medien-Redaktionen bearbeiten KI-Entwürfe leicht nach und betrachten sie dann als menschlich erstellt – ohne Kennzeichnung. Bei Bildern oder Videos wird in der Regel stärker darauf geachtet. Kommunikationsabteilungen müssen wissen, sie bewegen sich hier in einer Grauzone.
AG CommTech: Was bedeutet das für die Arbeit in Kommunikationsabteilungen konkret?
Thomas: Drei Dinge:
- Kompetenzaufbau – Beschäftigte müssen geschult werden, sowohl allgemein als auch spezifisch für die eingesetzten Tools. Das ist seit Februar Pflicht.
- Governance – jedes Unternehmen braucht eine AI-Compliance-Stelle. In großen Unternehmen ist das ein eigener KI-Beauftragter, in kleineren meist Compliance oder Legal, die die Rahmenbedingungen setzen, z.B. wie Transparenz und Kennzeichnungspflichten umzusetzen sind.
- Dokumentation – Du musst nachvollziehbar festhalten, welche Daten genutzt werden, wie Bias vermieden wird und wer die Aufsicht hat.
AG CommTech: Klingt nach viel Bürokratie.
Thomas: Es ist Aufwand, keine Frage. Gerade Hochrisiko-Anwendungen sind schwer zu stemmen. Aber wie bei der DSGVO gilt: Was anfangs mühsam ist, kann langfristig zum Standard werden. Wenn wir es ernst nehmen, könnte der AI-Act ein weltweiter Referenzrahmen werden – auch wenn er kurzfristig ein Wettbewerbsnachteil gegenüber weniger oder gar nicht regulierten Regionen wie USA oder China ist.
AG CommTech: Welche Rolle können Kommunikator:innen in diesem Prozess spielen?
Thomas: Eine zentrale. Kommunikation ist nah dran, weil viele KI-Anwendungen – Textgeneratoren, Bildtools, Chatbots – in ihrem Feld liegen. Außerdem können Kommunikationsabteilungen Kompetenzvermittlung organisieren und dokumentieren. Ich sehe sie oft in der Rolle des Katalysators: Sie sensibilisieren, erklären, sorgen für Transparenz und helfen, Governance zu verankern. Wer das aktiv übernimmt, stärkt die eigene Position im Unternehmen.
AG CommTech: Was passiert, wenn Unternehmen erst mal abwarten?
Thomas: Abwarten ist keine Option. In Deutschland ist die Bundesnetzagentur als Aufsichtsbehörde zwar noch nicht arbeitsfähig. Aber ab 2026/27 treten zentrale Teile in Kraft. Wer bis dahin keine Governance-Strukturen aufgebaut und keine Schulungen durchgeführt hat, riskiert Haftung und Reputationsschäden. Ein Kläger könnte argumentieren, dass ein Unternehmen seine Sorgfaltspflicht verletzt hat. Vor allem verfestigt Abwarten einen Wettbewerbsnachteil.
AG CommTech: Dein Rat an Kommunikationsabteilungen?
Thomas:
- Sprich mit Legal und Compliance – viele wissen gar nicht, dass sie handeln müssen.
- Bilde crossfunktionale Teams – Kommunikation, HR, IT und Recht gehören zusammen.
- Dokumentiere Pilotprojekte – lieber jetzt Standards setzen, bevor es Pflicht wird.
Und: Nutze die Chance. Der AI-Act zwingt uns zum Kompetenzaufbau. Wer das ernst nimmt, stärkt nicht nur Rechtssicherheit, sondern auch die Innovationskraft der Kommunikation.